„Gespräch in der Burgstraße“ erörtert die Zukunftsfähigkeit Europas

Ein Beitrag in der Ausgabe 07/2012 von „die bank – Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis“ befasst sich mit dem jüngsten „Gespräch in der Burgstraße“,  das zum Auftakt einer neuen Veranstaltungsreihe in Berlin stattfand:

Das halb leere – oder eben auch halb volle – Glas, mit dem der deutsche Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble beim ersten „Gespräch in der Burgstraße“ des Bankenverbands den Stand im Kampf gegen die europäische Finanzkrise verglich, hätte gut und gerne auch das Leitmotiv der gesamten Veranstaltung sein können. „Die Vertrauenskrise ist noch nicht überstanden, doch die posi­tiven Anzeichen mehren sich“, hatte eingangs Bankenpräsident Andreas Schmitz festgestellt. Inzwischen sei zwar klar, was gegen die Staatsschuldenkrise zu tun sei, jetzt müsse es aber auch getan werden.

Der Autor, Christian Jung, ist Direktor beim Bundesverband deutscher Banken (BdB) in Berlin.

______________________________________________________________

Der luxemburgische Finanzminister Luc Frieden hob im Zwiegespräch mit seinem deutschen Amtskollegen das in der Krisenbewältigung Erreichte hervor, verwies aber auch darauf, dass Europa eine schwierige Phase durchlaufe, in der es keine einfachen Antworten gebe. Die Europäer müssten eine stabile und nachhaltige Finanzpolitik betreiben, sie stünden aber zudem vor der Herausforderung, eine neue europäische Vision zu entwickeln.

In Anwesenheit des Erbgroßherzogs, Prinz Guillaume von Luxemburg, anlässlich dessen Deutschlandbesuchs der Bankenverband und Luxembourg for Finance die Veranstaltung organisierten, nutzte Finanzminister Schäuble die Gelegenheit, seinen haushaltspolitischen Konsolidierungskurs zu verteidigen. „Indem wir das Defizit glaubhaft zurückführen, stärken wir das Vertrauen von Investoren und Konsumenten und schaffen Wachstum“, betonte er. Zugleich warnte Schäuble vor einer neuerlichen Blasenbildung. Wenn die nächste Krise nicht vermieden werden könne, stünden vielleicht nicht nur die marktwirtschaftliche Ordnung und das Finanzsystem auf dem Spiel. Niemand könne garantieren, dass dann nicht auch die Legitimität des demokratischen, rechtsstaatlichen Systems gefährdet sei.

Das vom stellvertretenden Chefredakteur der „Börsen-Zeitung“, Bernd Wittkows­ki, moderierte Gespräch war von gegenseitigem Respekt der beiden Finanzminister und dem spürbaren Willen zum Konsens geprägt. Schäuble und Frieden ließen keinen Zweifel daran, dass es trotz mancher Verwerfungen beachtliche Fortschritte bei der Krisenbewältigung gebe. Die Grundhaltung in Europa, insbesondere die Einstellung gegenüber einer maßlosen Fiskalpolitik, habe sich deutlich verändert, meinte Schäuble. „Wir sind dabei, das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen.“ Er zeigte sich zudem überzeugt, dass der europäische Fiskalpakt in allen Ländern die Hürde der Ratifizierung nehmen werde.

Unterschätzte Inflationsrisiken

Zustimmung erhielten die beiden Finanzminister in Sachen Haushaltspolitik vom luxemburgischen Zentralbankpräsidenten Yves Mersch, der in der anschließenden Podiumsdiskussion dazu aufrief, die Konsolidierung der europäischen Staatsfinanzen entschlossen fortzusetzen. „Für mich hat nach wie vor die Gesundung der öffentlichen Finanzen oberste Priorität“, sagte Mersch, der auch Mitglied im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) ist. Mit Blick auf die jüngsten Einschätzungen des Internationalen Währungsfonds IWF bemängelte er, dass dieser die Inflationsrisiken für Europa unterschätze, gleichzeitig aber die Stärke der Wachstumsentwicklung zu pessimistisch beurteile.

Für einen Oppositionspolitiker doch beachtliches Lob erhielt Schäuble vom SPD-Finanzexperten und Mitglied im Finanzausschuss des Bundestags, Dr. Carsten Sieling. Mit den Ausführungen des Ministers stimme er weitgehend überein, zumal dieser sich zuvor leicht kritisch zur Abgeltungssteuer geäußert hatte. In einem Punkt allerdings widersprach Sie­ling dem politischen Kurs Schäubles deut­lich, indem er für den Verbleib der Banken im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) plädierte. Er halte nichts davon, das bestehende und bewährte Modell zu verändern. Politik und Gesellschaft seien in einer kooperativ angelegten Sozialen Markt­wirtschaft auf das Marktwissen der Branche angewiesen.

Regulatorik ist auch Wettbewerbs­politik

Dem konnte Dr. Theodor Weimer, Vorstandssprecher der UniCredit Bank AG, nur zustimmen, wobei er aber hinzufügte, dass die Präsenz der Banken im Verwaltungsrat die Fachaufsicht nicht berühre. „Wir Banken werden zurzeit hart rangenommen, völlig unabhängig davon, ob die Banken in der BaFin vertreten sind oder nicht“, meinte er. Ein noch wichtigeres Thema sei die Frage, inwieweit sich die Regulierung im Finanzsektor auf den internationalen Wettbewerb auswirke. „Regulatorik ist auch Wettbewerbspolitik“, sagte Weimer, der vor Nachteilen der europäischen gegenüber den amerikanischen Banken infolge einseitiger Regulierungsschritte warnte.

Mit Ernst Wilhelm Contzen, dem Präsidenten des Luxemburger Bankenverbands und CEO der Deutschen Bank Luxembourg, zeigte sich Weimer einig, dass bei Anlegern und Sparern noch ein hohes Maß an Verunsicherung spürbar sei. Um das Vertrauen in die Märkte zurückzu­gewinnen, so Contzen, bedürfe es einer wirk­samen Regulierung. Allerdings bewirke eine über das Ziel hinausschießende Überregulierung genau das Gegenteil. Auch nahm Contzen die Banken vor dem Vorwurf in Schutz, sie seien die einzigen gewesen, die Schuld an der Finanzmarktkrise gehabt hätten. Die Politik, die Bankenaufsicht und die Ratingagenturen hätten ebenfalls Fehler begangen. Zudem habe der Renditehunger vieler Anleger die Banken zu größeren Risiken gedrängt.

Mit Blick auf die Gestaltung der europäischen Bankenlandschaft sprach sich abschließend Yves Mersch für eine „Bankenunion“ aus, in der die europäische Aufsicht eine noch größere Rolle spielt. Jedes Land müsse sein Bankensystem in eigener Regie „europafähig“ machen. Grenzüberschreitend tätige Großbanken sollten aber, wenn nicht EU-weit, so zumindest innerhalb der Eurozone nach einheitlichen europäischen Regeln beaufsichtigt werden. Trotz vieler Widerstände gegen einzelne Regulierungsmaßnahmen, versicherte Mersch, zögen alle Mitgliedsländer am gleichen Strang.

Da war es also wieder: das halb volle – oder halb leere – Glas. Und so nahmen die meisten der rund 150 Teilnehmer des Gesprächs in der Burgstraße als Fazit mit nach Hause oder an ihren Arbeitsplatz: Der gemeinsame politische Wille, ein ­stabileres Finanzsystem zu schaffen, ist vorhanden. Um die notwendigen Maß­nah­men und ihre konkrete Umsetzung dürfte aber auch künftig hart gerungen werden.

 ______________________________________________________________

Neue Veranstaltungsreihe:

Mit dem „Gespräch in der Burgstraße“ am 24. April 2012 zum Thema „Die Zukunftsfähigkeit Europas und der Euro-Zone“ startete der Bankenverband in Berlin eine neue Veranstaltungsreihe. Mit Gästen aus Politik, Wirtschaft und Verbänden sollen künftig mehrmals im Jahr im Haus des Bankenverbandes sowohl Fach­themen der Branche als auch Fragen mit einem breiteren gesellschaftlichen Bezug diskutiert werden.

______________________________________________________________

Weiteres zum Thema Zukunftsfähigkeit Europas
erhalten Interessenten hier:

Der Artikel „Gespräch in der Burgstraße – Die Zukunftsfähigkeit Europas“
ist in der Ausgabe 07/2012 von „die bank – Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis“ erschienen.

Zugang zur Online-Fassung des Beitrags befindet sich unter diesem Link.

„die bank – Zeitschrift für Bankpolitik und Praxis“
Website: www.die-bank.de